Inanspruchnahme einer Krisenberatung ist keine Schande – Teil 1: Die ersten Krisenanzeichen erkennen und verstehen

Krisen entstehen selten über Nacht. Lediglich in Ausnahmefällen sind einzelne Entscheidungen oder bestimmte Geschehnisse allein für die Schieflage eines Unternehmens verantwortlich. Viel häufiger handelt es sich um schleichende Entwicklungen, die durch eine Verkettung verschiedener Faktoren ausgelöst werden: Plötzlicher Auftragsrückgang, steigende Kosten oder interne Konflikte – die ersten Anzeichen einer Krise bleiben oft unbemerkt, bis die Situation kritisch wird. Die Herausforderung besteht darin, diese Anzeichen rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu deuten, um frühzeitig zu reagieren und dadurch größere Schäden abwenden und die Handlungsfähigkeit bewahren zu können.

Schon bei den ersten Anzeichen einer Krise sollte die Unternehmensführung aufmerksam werden, mögliche Gegenmaßnahmen prüfen und geeignete Strategien entwickeln. Häufig wird diese essenzielle Aufgabe aus unterschiedlichen Gründen nicht konsequent umgesetzt.

Mit diesem zweiteiligen Beitrag möchten wir Unternehmerinnen und Unternehmer dazu ermutigen, sich frühzeitig mit den Warnsignalen einer Krise auseinanderzusetzen. Eine externe Beratung ist nicht immer sofort erforderlich, wird jedoch häufig erst in einem späten Stadium der Krise in Betracht gezogen – oft sogar zu spät.

Vielseitiger Aufgabenbereich der Unternehmens- bzw. Geschäftsführung

Die Unternehmensführung trägt eine Vielzahl an Verantwortlichkeiten, die über das bloße Unternehmerrisiko hinausgehen. Täglich müssen Entscheidungen getroffen und auf unterschiedliche Herausforderungen reagiert werden: Ein Kunde zahlt verspätet, neues Personal muss rekrutiert und eingearbeitet werden, technische Ausfälle erfordern Reparaturen oder Neuanschaffungen, und steigende Energiekosten belasten das Budget.

Bei dieser Bandbreite an Aufgaben ist es verständlich, dass der Fokus auf das große Ganze gelegentlich verloren geht. Dabei besteht die Gefahr, dass krisenfördernde Faktoren übersehen oder nicht rechtzeitig in ihrer Gesamtheit bewertet werden.

Viele Unternehmerinnen und Unternehmer verlassen sich blind auf die beauftragte Steuerberatung, um mögliche wirtschaftliche Probleme frühzeitig zu erkennen und darauf hinzuweisen. Dabei entsteht ein nicht zu unterschätzendes Risiko: Die Buchhaltung wird in vielen Fällen nicht tagesaktuell geführt, was zu einer Verzögerung bei der Erfassung und Analyse relevanter Kennzahlen führt. Häufig führt bereits die Dauerfristverlängerung zur Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen zu einem Zeitversatz von einem Monat, wodurch das Unternehmen in der Zwischenzeit einen Blindflug durchlebt. Dabei offenbaren sich die ersten Anzeichen einer Krise oft nicht in der Buchhaltung, sondern bereits im operativen Tagesgeschäft. Diese Signale – wie ein stagnierender Zahlungsfluss oder rückläufige Verkaufszahlen – schlagen sich erst viel später in den Finanzdaten nieder, also wenn die Krise bereits fortgeschritten ist.

Gesetzliche Handlungsvorgaben (Frühwarnsysteme)

Krisen frühzeitig zu erkennen, ist nicht nur eine Frage der guten Unternehmensführung, sondern auch eine gesetzliche Verpflichtung und mit § 1 StaRUG seit dem 01. Januar 2021 für alle Kapitalgesellschaften fest im Gesetz verankert. Der Gesetzgeber schreibt vor, dass Unternehmen geeignete Frühwarnsysteme einzurichten haben, um Risiken rechtzeitig zu identifizieren und ihnen entgegenzusteuern. Ziel ist es, die Handlungsfähigkeit der Unternehmensführung zu bewahren und mögliche Insolvenzen oder schwerwiegende wirtschaftliche Folgen zu verhindern.

Allerdings verzichtet der Gesetzgeber bewusst auf eine detaillierte Festlegung der Ausgestaltung solcher Systeme. Stattdessen sollen diese individuell an die Bedürfnisse des Unternehmens angepasst werden. Unabhängig von Branche, Größe oder Struktur bleibt jedoch die Verantwortung der Unternehmensführung gleich: Ein funktionierendes Frühwarnsystem muss die rechtzeitige Erkennung von Risiken und Krisen gewährleisten.

Ein professionell implementiertes Frühwarnsystem bietet nicht nur rechtliche Sicherheit, sondern auch strategische Vorteile: Risiken können frühzeitig identifiziert, gezielte Gegenmaßnahmen erarbeitet und Vertrauen bei den Stakeholdern geschaffen werden.

Ein typisches Beispiel: Fällt auf, dass die Zahlungsmoral von Kunden sinkt oder Liquiditätsengpässe absehbar werden, können frühzeitig Maßnahmen eingeleitet werden, wie etwa die Anpassung von Zahlungsbedingungen oder die Optimierung von Prozessen im Debitorenmanagement. Ohne ein Frühwarnsystem könnten diese Anzeichen unbemerkt bleiben und aufgrund mangelnder Erkenntnis und daraus resultierend fehlender Gegensteuerungsmaßnahmen zu gravierenden Problemen führen.

Mit der Implementierung eines Frühwarnsystems handelt die Unternehmensführung nicht nur im Sinne der gesetzlichen Vorgaben, sondern sichert auch langfristig die Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.

Generelle Krisenvorzeichen

Krisen zeigen sich oft nicht plötzlich, sondern kündigen sich durch teils schwer zu interpretierende Vorzeichen an. Typische Anzeichen umfassen etwa den Verlust wichtiger Kunden oder Lieferanten, was die Stabilität des Geschäfts gefährden kann, oder finanzielle Schwierigkeiten bei der fristgerechten Zahlung von Steuern, Gehälter oder Sozialversicherungsbeiträgen. Solche finanziellen Engpässe sind oft erste Alarmsignale für tieferliegende Probleme.

Ein weiteres häufiges Indiz für eine bevorstehende Krise ist eine nachlassende Qualität im Personalbereich. Sinkende Motivation, hohe Fluktuation oder eine allgemeine Verschlechterung der Arbeitskultur können auf interne strukturelle Probleme hinweisen, die sich negativ auf die Gesamtleistung des Unternehmens auswirken.

Ebenso sind rechtliche Konsequenzen wie Mahnungen oder Mahnbescheide deutliche Zeichen dafür, dass finanzielle Verpflichtungen nicht eingehalten werden können – ein Stadium, das in der Regel bereits auf eine fortgeschrittene Krise hindeutet.

Diese Warnsignale manifestieren sich häufig nicht sofort in den Finanzkennzahlen, sondern treten zunächst im operativen Tagesgeschäft auf. Beispielsweise können rückläufige Verkaufszahlen, ungewöhnlich hohe Lagerbestände oder vermehrte Reklamationen erste Hinweise auf beginnende Schwierigkeiten sein. Oft bleiben solche Anzeichen jedoch unbeachtet oder werden als kurzfristige Schwankungen abgetan, wodurch wertvolle Zeit verloren geht, um effektiv gegenzusteuern.

Es ist entscheidend, diese Entwicklungen nicht zu ignorieren. Stattdessen sollte die Unternehmensführung ein besonderes Augenmerk auf frühzeitige Anzeichen legen und die Ursachen systematisch analysieren. Maßnahmen wie regelmäßige Überprüfungen von Leistungskennzahlen, offene Kommunikation mit Mitarbeitenden und Kunden sowie die schnelle Identifikation potenzieller Problemfelder können dazu beitragen, die Krise frühzeitig zu erkennen und zu bewältigen.

Konkrete Krisentypen

Eine Krise kann nach ihrer Art und Herkunft in unterschiedliche Stadien kategorisiert werden. Der IDW Standard S6 bietet hierbei die gängigste Einteilung. Die einzelnen Krisentypen schließen sich dabei selbstverständlich nicht gegenseitig aus, ganz im Gegenteil: sogar recht häufig liegt eine Vermischung der Krisentypen vor. Eine Strategiekrise kann beispielsweise eine Erfolgskrise und in weiterer Folge eine Liquiditätskrise auslösen. Ohne rechtzeitige Gegenmaßnahmen führt diese Verkettung schlussendlich zur Insolvenzreife.

Nachfolgend werden die Krisenstadien näher betrachtet und dabei gemessen an der Schwere der Krise in aufsteigender Reihenfolge dargestellt. Dabei gilt zu beachten, dass mit Fortschreiten der Krise sowohl die Dauer zur Beseitigung als auch die Komplexität zur erfolgreichen Gegensteuerung in der Regel zunimmt.

Stakeholderkrise

Unter einer Stakeholderkrise versteht man insbesondere Konfliktsituationen auf Ebene der Mitglieder der Unternehmensleitung, der Überwachungsorgane, der Gesellschafter, der Arbeitnehmer, der finanzierenden Banken und der anderen großen Gläubiger sowie ggfs. weiterer Anspruchsgruppen.

Beispiel: In einem mittelständischen Unternehmen führen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gesellschaftern über die zukünftige Wachstumsstrategie zu einer Blockade bei wichtigen Entscheidungen. Diese Unstimmigkeiten verursachen Verzögerungen bei dringend erforderlichen Investitionen in neue Maschinen. Diese Krise betrifft die Unternehmensbereiche Geschäftsführung, Finanzen und strategisches Management.

Strategiekrise

Unter Strategiekrise versteht man insbesondere in Folge unzureichender Kundenorientierung und Marktanalyse, unangemessene oder ineffektive Innovationen oder Investitionen, die zu strategischen Lücken und strukturellen Defiziten führen. Eine Strategiekrise ist vor allem am Verlust von Marktanteilen zu erkennen.

Beispiel: Ein Einzelhandelsunternehmen fokussiert sich weiterhin stark auf stationäre Geschäfte, obwohl ein Großteil der Kunden zunehmend online einkauft. Die mangelnde Anpassung an digitale Trends führt zu Umsatzrückgängen und einem Verlust von Marktanteilen. Diese Krise betrifft die Unternehmensbereiche Marketing, Vertrieb, strategisches Management, IT und Finanzen.

Produkt- und Absatzkrise

Unter Produkt- und Absatzkrise versteht man die rückläufige Nachfrage nach den Hauptumsatz- und Erfolgsträgern (Produkte, Dienstleistung etc.) des Unternehmens.

Beispiel: Ein Hersteller von Kunststoffteilen stellt fest, dass ein Hauptkunde auf günstigere Wettbewerber umgestiegen ist. Dadurch sinkt die Produktion erheblich, während die Fixkosten gleichbleiben. Gleichzeitig versäumt das Unternehmen, alternative Kunden zu gewinnen. Diese Krise betrifft die Unternehmensbereiche Produktion, Vertrieb, strategisches Management und Finanzen.

Erfolgskrise

Unter einer Erfolgskrise versteht man die stagnierende oder rückläufige Ergebnisentwicklung eines Unternehmens, die letztendlich zum Verzehr des Eigenkapitals führen kann.  

Beispiel: Ein stahlverarbeitender Betrieb bemerkt, dass aufgrund gestiegener Rohstoffkosten die Gewinnmarge immer kleiner wird. Gleichzeitig ziehen wichtige Kunden ihre Aufträge zurück, da die erhöhten Preise nicht akzeptiert werden. Diese Krise betrifft die Unternehmensbereiche Produktion, Vertrieb, Einkauf, strategisches Management und Finanzen.

Liquiditätskrise

Eine Liquiditätskrise zeigt sich, wenn die finanziellen Mittel nicht mehr ausreichen, um laufende Verpflichtungen zu decken, was zu Zahlungsstockungen oder drohender Zahlungsunfähigkeit führt.

Beispiel: Ein Bauunternehmen hat zahlreiche Projekte vorfinanziert und wartet auf ausstehende Zahlungen von Auftraggebern. Die fälligen Verbindlichkeiten für Materialeinkäufe und Löhne übersteigen jedoch die vorhandene Liquidität, was eine kritische Situation herbeiführt. Diese Krise betrifft die Unternehmensbereiche Einkauf, Projektmanagement und Finanzen.

Insolvenzreife

Die Insolvenzreife markiert das Endstadium einer jeden Krise, in dem das Unternehmen entweder überschuldet ist oder zahlungsunfähig wird. Sie erfordert gesetzlich vorgeschriebene Maßnahmen wie die Beantragung eines Insolvenzverfahrens.

Beispiel: Ein mittelständisches Handelsunternehmen hat durch eine misslungene Expansion in neue Märkte hohe Verbindlichkeiten aufgebaut. Die Zahlungsfähigkeit ist erschöpft, und auch eine drohende Überschuldung wird festgestellt. Weder Gläubiger noch Investoren sind bereit, weitere Mittel bereitzustellen. Diese Krise betritt sämtliche Bereiche des Unternehmens.

Krisenberatung in Erwägung ziehen

Die Entscheidung, eine externe Krisenberatung hinzuzuziehen, ist oft ein bedeutender Schritt für Unternehmerinnen und Unternehmer. Sie signalisiert nicht nur den Willen, die Herausforderungen aktiv anzugehen, sondern auch die Bereitschaft, von externem Know-how und einem objektiven Blickwinkel zu profitieren. Je nach Art und Ausmaß der Krise kann eine solche Beratung dabei helfen, die Situation sachlich zu analysieren, Handlungsoptionen zu entwickeln und nachhaltige Lösungen zu implementieren.

Der Bedarf an Unterstützung hängt maßgeblich vom jeweiligen Krisentyp und dem Fortschritt der Krise ab. In frühen Phasen reicht oft eine punktuelle Beratung, etwa zur Identifikation der Problemfelder und der Entwicklung erster Lösungsansätze. Ist die Krise jedoch weiter fortgeschritten, kann eine umfassendere Unterstützung notwendig werden, die auch die Zusammenarbeit mit Finanzierungs- und Geschäftspartnern umfasst. Die Beratung kann hierbei nicht nur konzeptionelle Hilfestellung leisten, sondern auch die Umsetzung konkreter Maßnahmen begleiten.

Die Vorteile einer externen Beratung liegen auf der Hand: Sie bringt Erfahrung aus vergleichbaren Fällen mit, bietet fundierte Analysen und eröffnet oft neue Perspektiven, die im internen Umfeld übersehen werden könnten. Besonders bei komplexen Krisensituationen, die mehrere Bereiche des Unternehmens betreffen, kann eine strukturierte Vorgehensweise durch externe Expertise entscheidend sein.

Unternehmerinnen und Unternehmer hegen jedoch oft Bedenken, ihre Entscheidungsfreiheit abzugeben oder in Abhängigkeit von teuren Beratungsleistungen zu geraten. Diese Sorgen lassen sich durch eine klare Festlegung der Erwartungen und Ziele im Vorfeld ausräumen. Eine professionelle Beratung zeichnet sich dadurch aus, dass sie individuell auf die Bedürfnisse des Unternehmens eingeht und praktikable Lösungen anbietet, ohne die Handlungshoheit der Unternehmensführung einzuschränken.

Fazit: Die Inanspruchnahme einer externen Krisenberatung ist keine Schande

Krisen gehören zum unternehmerischen Alltag und manifestieren sich schleichend. Sie stellen jedoch keine unüberwindbaren Hindernisse dar, wenn sie frühzeitig erkannt und mit einer durchdachten Strategie angegangen werden. Unternehmerinnen und Unternehmer stehen dabei vor der Herausforderung, neben den täglichen Verantwortungen auch die Anzeichen von Krisen im Blick zu behalten und objektiv auf die ersten Anzeichen einer Krise zu reagieren.

Die Nutzung externer Expertise ist dabei kein Eingeständnis von Schwäche, sondern Ausdruck von Weitsicht und Professionalität. Ob durch die Implementierung von Frühwarnsystemen, die Analyse individueller Krisenvorzeichen oder den gezielten Einsatz externer Krisenberatung – die Bereitschaft, Unterstützung anzunehmen, schafft die Grundlage, um Krisen nicht nur zu bewältigen, sondern gestärkt aus ihnen hervorzugehen.

Eine kompetenzsteigernde Delegation zeichnet eine professionelle Unternehmensführung sogar aus. Unternehmen, die sich frühzeitig mit den Herausforderungen einer möglichen Krise auseinandersetzen, sichern nicht nur ihre eigene Zukunftsfähigkeit, sondern setzen ein klares Zeichen für eine verantwortungsbewusste und vorausschauende Führung. Es liegt in der Hand der Geschäftsführung, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und damit die Weichen für nachhaltigen Erfolg zu stellen.

Im zweiten und abschließenden Teil des Beitrages wird auf die Auswahl, die realistischen Erwartungen und die Beauftragung einer externen Beratungsgesellschaft eingegangen, um Unternehmerinnen und Unternehmer auch bei diesem entscheidenden Schritt zu unterstützen.

Autoren: Sebastian Frank & Björn Herzog, ANEWERA Consulting GmbH, Ruhrallee 185, 45136 Essen, Tel.: 0201 / 89040 – 460, E-Mail: info@anewera.consulting, HP: www.anewera.consulting